Das museale, monumentale Kruzifix (110 x 98 cm) ist stilistisch zwischen 1170 und 1190 datierbar, wobei die Entstehung in Südostfrankreich zugeordnet werden kann. Lediglich die Arme sind spätere Restaurierungen um 1400 und aus Kastanienholz geschnitzt, während der Rest der Figur aus Eichenholz besteht. Der Erhaltungszustand des Christus ist dem Alter entsprechend gut, Reste einer Kreidegrundierung sind erhalten.
Besonders eindrucksvoll ist die ausgeprägte Starrheit des gestreckten Körpers, typisch für frühe romanische Figuren. Sein ruhiger, aber dennoch eindringlicher Ausdruck zeigt sich durch die übergroßen, in tiefen Höhlen sitzenden, nach vorne gerichteten Augen. Trotzdem ist sein Blick leicht nach unten gesenkt und wird durch die prominente Nase und die groß ausfallenden Ohren, die das Gesicht rahmen, betont. Sein Haar fällt in symmetrischer Manier auf die Schultern; wobei der zusammengewachsene Kinn-, Backen- und Schnauzbart in artifiziellen, volutenförmigen Locken endet. Es ist anzumerken, dass diese markante Physiognomie besonders dem erhöhten Aufstellungskontext geschuldet ist, da diese Figur mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Untersicht konzipiert war.
Um das Leid Christi am Kreuz hervorzuheben, sind der ausgemergelte Brustkorb samt Rippen und zentralem Brustbein besonders herausgearbeitet. Weiters verleihen die übergroßen Brustwarzen einer beinahe erschreckenden Nacktheit Ausdruck. Die zwar späteren, sehnigen Arme und Hände mit überlangen Fingern nehmen die stilisierte Marterung gekonnt auf. Auch die deutlichen Stigmata-Löcher deuten darauf hin, dass das Kruzifix mit großen Nägeln an einem Kreuz befestigt war, vermutlich im Mittelschiff einer Kirche, weit über den Köpfen der Gläubigen. Das eckig-blockartige Perizonium ist besonders typisch für die Zeit vor 1200 und gleicht den Höhenzug der Figur gekonnt aus. Die V-förmige Schüsselfalte spiegelt in ihrer leichten Abrundung die Proportionen des Gesichtes Jesu wider und ist mit einem Bronzekruzifix aus dem frühen 12. Jahrhundert aus Pays de la Loire (Sammlung von Adolphe Stoclet), heute im British Museum (1965,0704.1), sehr verwandt.[1] Die sich darunter abzeichnenden, schlaff herabhängenden Beine mit überdurchschnittlich großen Füßen, deren Zehen vor Schmerz klauenartig eingerollt sind, tragen zur erschütternd-dramatischen Gesamterscheinung bei.
Obwohl dieses einzigartige, phänomenal erhaltene Kruzifix mit gemartertem Körper gezeigt wird, triumphiert Christus über den Tod, symbolisiert durch die leidend-idealisierte Repräsentation in majestätisch-gerader Haltung mit weit geöffneten Augen.
[1] https://www.britishmuseum.org/collection/object/H_1965-0704-1.