CHRISTUS UM 1510


Monumentaler Christus
Um 1510
Michael Erhart?
Konstanz? 1440/45 – nach 1522 Ulm

Lindenholz geschnitzt &
Reste von Polychromie
Höhe 150 cm

Diese monumentale Skulptur des gekreuzigten Christus, die um 1510 aus Lindenholz geschnitzt wurde, zeigt das Geschick und die emotionale Tiefe, die für die Handwerkskunst dieser Zeit charakteristisch sind und wahrscheinlich aus dem künstlerischen Zentren Ulm stammen. Es ist möglich, dass diese Darstellung aus der Werkstatt des bedeutenden Bildschnitzers Michel Erhart hervorging. 

Michel Erhart war ein bedeutender Bildschnitzer des spätgotischen Stils der Ulmer Schule. Wahrscheinlich in den Niederlanden und am Oberrhein ausgebildet, wurde er 1469 erstmals in den Ulmer Steuerlisten aufgeführt und arbeitete sich dort bis zu seinem Tod nach 1522 zum führenden Bildhauer hinauf. Er schien im engeren Verhältnis mit dem ebenfalls wichtigen Bildhauer Niklaus Weckmann zu stehen, da letzterer im Jahr 1506 als Vormund eines Kindes von Erhart belegt ist. Die Werke beider sind auch stilistisch durch ihre Zugehörigkeit zur Ulmer Schule sehr verwandt.

Christus ist hier in gelängter Form dargestellt, mit einem schlanken und sehnigen Körper, der das Leiden und die Opferung der Kreuzigung einfängt. Die langen Beine der Figur sind im traditionellen Dreinageltypus zusammengeführt, der die Vertikalität und Streckung der Form Christi zusätzlich betont. Die Proportionen sind jenen des Blaubeurer Kruzifixes von Erhart sowie jenen des Schmerzensmannes Weckmanns im Gesprenge des Blaubeurer Hochaltars von 1493 sehr ähnlich. Sein langes, üppiges Haar fällt in lockigen Strähnen herab und umrahmt sein leidvolles Gesicht, das einen eindringlichen Ausdruck von Schwermut trägt, wobei die halbgeschlossenen Augen ein Gefühl von ergebener Hingabe erzeugen. Die fein geschnitzten Locken sind ein typisches Merkmal sowohl von Weckmann, vergleichbar mit dem Chorbogenkruzifix in der Basilika St. Martin in Landshut von 1495, als auch von Erhart, beispielsweise in der Figur des Jünglings der hochbedeutenden Vanitas-Gruppe im Kunsthistorischen Museum in Wien zu vergleichen (KHM, Kunstkammer, Inv.-Nr. 1).  

Der Faltenwurf des Perizoniums liegt in komplexen, fließenden Bahnen, die sorgfältig geschnitzt sind, eng am Körper auf. Dies deutet sowohl die Bewegung als auch das Gewicht des Stoffes an und ist ein Hinweis auf die stilistischen Tendenzen der Epoche. Diese Liebe zum Detail ordnet die Skulptur dem spätgotischen Stil zu. Obwohl die Skulptur keine Polychromie aufweist, ist die Schnitzerei selbst sehr detailliert und lebensecht. Zentrale Merkmale der Ulmer Schule sind neben den dicht gelockten Haaren elegante Körperformen, eine weich modellierte Gesichtsphysiognomie und eine detaillierte Draperie. Diese Christusdarstellung verdeutlicht somit die künstlerische Bedeutung dieses Stils, wobei einen Moment ergreifender Anmut und Frömmigkeit festgehalten wird.

Literatur:

Barbara Maier-Lörcher, Meisterwerke Ulmer Kunst, Ostfildern 2004.

Brigitte Reinhardt (Hrsg.), Michel Erhart & Jörg Syrlin d. Ä.: Spätgotik in Ulm, Ulm 2002.

Barbara Schäuffelen und Joachim Feist, Ulm: Porträt einer Stadtlandschaft, Stuttgart 1987.