Bei dieser Madonnendarstellung handelt es sich um eine meisterhafte, frühe Figur in großartigem Erhaltungszustand. Die Madonna entspricht dem Typus der Sedes Sapientiae: Maria als Thron der göttlichen Weisheit. Sie sitzt blockhaft-frontal ausgerichtet und mit offener Haltung auf einem gerundeten Thronsessel. Die Figur ist in ihrer Ausführung symmetrisch konzipiert; die akribische Frontalität zeigt deutlich die frühe Entstehungszeit dieser eindrucksvollen Darstellung. Ihr Gesicht ist plastisch-ausdrucksstark geschnitzt, mit hohen Augenbrauen, großen und weit geöffneten Augen sowie tief gekerbten Oberlidern. Der empathische Ausdruck wird durch die prominente Nase betont, die nahtlos in die scharfkantigen Grate der Augenbrauen übergeht. Die vollen Lippen Marias sind nach oben geschwungen und offenbaren leichte Grübchen. Die rotbäckigen Wangen vermitteln einen Eindruck von Lebendigkeit, wobei dies die Vermittlerrolle Marias, die hier direkt mit den Betrachtern kommuniziert, betont.
Die sorgfältig ausgearbeiteten Oberflächen deuten die Draperie im flachen Relief an, wie es für die Zeit des frühen 13. Jahrhunderts typisch ist. Das Schleiertuch Marias ist glatt über den Kopf gelegt und fließt über die Schultern zu ihren Oberarmen herab. Dort bauschen sich die Säume in fast ornamenthafter dreieckiger Manier. Während ihr Gewand am Oberkörper geradlinig herabfällt, so liegt es in ähnlich teigiger und geometrisch konzipierter Fasson unterhalb ihrer Knie auf. Die starke Symmetrie in der Komposition verstärkt den ornamentalen Ausdruck des Stoffes – selbst ohne gemaltes oder geschnitztes Oberflächenornament! – und schafft einen faszinierenden Gegenpol zu den sonst flach gehaltenen Kleidungspartien. Dadurch gewinnt ihre Kleidung an luxuriöser Ausdruckskraft und scheint einem Brokatstoff mit dichter Borte zu ähneln.
An den Faltengraten und gekerbten Rillen haben sich Spuren von Polychromie erhalten, die darauf verweisen, dass das Obergewand der Madonna rot, dessen Innenseite blau und das Untergewand grün bemalt waren. Diesen Farben wohnt einen hohen Symbolgehalt inne: Das göttliche, mit dem Himmel assoziierte Blau galt ab dem 12. Jahrhundert als Farbe der Keuschheit und daher insbesondere als Farbe Marias, welche ab dieser Zeit häufig einen blauen Mantel über einem roten Kleid trug. Dabei ist das Rot ein Ausdruck von Herrschaftssymbolik, welcher aus der Spätantike übernommen wurde. Gerne wird es auch als Farbe des Martyriums angesehen. Das Grün könnte hier Liebe und Hoffnung symbolisieren.
Literatur:
Ilene H. Forsyth, The Throne of Wisdom: Wood Sculptures of the Madonna in Romanesque France, Princeton 1972.